Ferien in San Diego

Endlich Ferien, rief ich laut. Ferien? Aber Ferien von was denn, fragte mich Lu. Ich hätte doch eigentlich immer Ferien gehabt, seit wir in Amerika wären, meinte sie mit einem leicht ironischen Lächeln. Das bisschen Haushalt, die beiden Kinder, eine Kleinigkeit. Und zudem wären letztere tagsüber doch sowieso in der Schule. Und so richtig geputzt hätte ich doch auch schon länger nicht mehr. Ich enthielt mich grosszügig eines Kommentars, gab ihr eine zweite Chance und deutete stattdessen stolz auf die frisch geputzten Fenster. Streifenfrei. Erwartungsvoll hielt ich kurz inne. Die Wirkung blieb aber aus. Einzig zu einem kurzen, ansonsten eigentlich eher typisch schweizerischen: ’nicht schlecht‘ konnte sie sich überwinden. Daraufhin aber kurzerhand ein deutscher Hammer in Form eines: ‚Innen hast Du aber nicht geputzt, gell?‘ folgte. Volltreffer. Der prallte mit voller Wucht auf alle vier Schultz-von-Thun-Ohren gleichzeitig. Natürlich nur im Scherz und ohne ernsthaften Hintergrund. Natürlich. Mir ging dabei ein Schlager der 70er aus DTH’s Schlagerhitparade durch den Kopf, dessen Text sich ebenfalls mit der: ‚Problematik der interparentalen Aufgabenteilung und deren gegenseitigen Wertschätzung‘ auseinander setzte. Früher wars scheinbar auch nicht besser. Aber wenigstens umgekehrt, dachte ich. Als konstruktiven Beitrag brachte ich dann die Option einer jüngeren mexikanischen Haushaltshilfe zur Sprache worauf sie postwendend mit einem sportlichen Personal Trainer drohte. Eine Pattsituation. Wir zogen uns daher beide zur Beratung zurück, packten unsere Koffer und flogen nach San Diego in die Ferien. Zusammen. Mit den Kindern. Strand, Zoo und Seaworld wollten wir erleben.

Schnitt.

Es war 6 Uhr morgens. Ich lag wach im Bett des Hotelzimmers und lauschte dem Rauschen des Meeres durch die halb geöffnete Balkontüre. Oder war es vielleicht doch eher das Rattern des Klimagerätes? Ja es war letzteres. Schade. Romantik ade. Willkommen in einem amerikanischen 200-Dollar-die-Nacht-Hotel in welchem das Rattern der Klimaanlage höchstens noch vom Brummen der Monster Eismaschine auf dem Flur übertönt werden konnte, dachte ich. Immerhin war die Lage grossartig. Direkt am Meer, mit Balkon direkt über dem Boardwalk. Und Meeresblick. Ich trat also auf den Balkon hinaus und schaute ein wenig dem morgendlichen Treiben zu. Die Surfer übten sich im Frühaufstehen, die Jogger joggten, die Obdachlosen trafen sich zur Morgentoilette. Im Land der totalen Marktwirtschaft herrschte scheinbar auch unter den Obdachlosen der harte Wettbewerb um die beste Lage und das erfolgreichste Business Model. Einer von ihnen hatte in einen Rollstuhl investiert. Ohne selbst behindert zu sein. Er versprach sich damit vermutlich grössere Aufmerksamkeit und mehr Komfort. Ein weiterer setzte auf laute Musik. Ein Dritter schien gerade erst über eine neue Geschäftsidee nachzudenken. In Gedanken versunken stand er mit geschlossenen Augen breitbeinig da. Im Stile eines kalifornischen Golden Retrievers markierte er währenddessen unauffällig sein Revier. Auf dem einzigen kleinen Rasenstück weit und breit. Eine gute Wahl dachte er sich wahrscheinlich, denn auf Rasen würde ein allfälliges Plätschern wohl kaum zu hören sein. Zudem vermied er es geschickt, überhaupt erst die Hosen zu öffnen, sondern entleerte gekonnt über die linke Beinöffnung seiner Shorts. Leider schwankte er dabei ein wenig, so dass er ein Volllaufen des linken Schuhs nicht ganz vermeiden konnte. Alles in allem aber eine reife Leistung. Und wäre ich nicht ausgerechnet in diesem Moment über ihm auf dem Balkon gestanden und hätte ihn dabei beobachtet, hätte es wahrscheinlich niemand bemerkt. Um nun auch noch den allerkleinsten Verdacht von sich zu weisen und jeden Zweifel auszuräumen, packte er zu guter Letzt auch noch ein Badetuch aus, breitete es über besagter Stelle aus und legte sich selbst darauf schlafen. Er bewies einmal mehr, dass die Amerikaner wirklich ein einzigartiges Talent zu besitzen scheinen, mitunter umständliche Dinge ganz einfach und pragmatisch zu lösen, sich das Leben dadurch zu vereinfachen und am Ende alles Unangenehme unsichtbar unter eine Decke zu kehren. Ich holte die Zeitung. USA Today.

In der Zwischenzeit waren nun auch Lu und die Kinder aufgewacht. Wir gingen gemeinsam frühstücken. Als wir zurückkamen, schaute ich nochmals aus dem Fenster auf den Boardwalk hinunter. Der Obdachlose war mittlerweile weitergezogen. Zwei Moslems breiteten gerade ihre Tücher zum Gebet aus. Und natürlich wieder auf genau derselben Stelle wie vorher der Obdachlose seines ausgebreitet hatte. Sonne und Badetuch hatten die Stelle aber bereits weitgehend getrocknet. Die Beiden knieten sich auf ihre Tücher nieder und beteten nach Osten. Ich erinnerte mich an die Worte einer Immobilienmaklerin, die einst meinte: ‚die wichtigsten drei Dinge um Geschäfte zu verrichten seien die Lage, die Lage und nochmals die Lage‘. Sie musste gewusst haben, wovon sie sprach.

Übrigens: Strand, Zoo und Seaworld waren awesome. San Diego war auch awesome. Eigentlich waren die ganzen Ferien awesome.

2 Gedanken zu „Ferien in San Diego

  1. Oh, wie schön … das erste mal auf Eurer Seite, haben wir uns großartig amüsiert … Patrick schreibt toll, neue Qualitäten, die wir entdecken dürfen …
    Hoffentlich geht es Euch allen gut. Tobias hat erzählt, das noch mehr Antonettys mit Ihren Lieben auf dem Weg ins große Land sind.
    Wir würden auch gern kommen, aber das geht erst nächstes Jahr … bis dahin können wir uns mit Euch freuen und wundern und schon mal ein bißchen träumen…
    alles,alles Liebe aus dem bayrischen Herbst … golden erstrahlt das Land …
    caro und fredo

  2. Hallo Patrick!
    Endlich wieder ein so lebendiger Bericht aus eurem Leben ergänzt um entsprechende Bilder. Leider fehlen Bilder von dem Obdachlosen und den Muslimen. Hat Luise euch beim Besuch von Seaworld eigentlich auch von der Seemöwe erzählt, die ihr 1990 ein Stück Pizza im Flug von ihrem Pappteller geklaut hat?
    Vielen Dank und Grüße an die ganze Family
    Günter und Annemie

Kommentare sind geschlossen.