Abenteuer Alltag

130. Tag, 5. November 2012. Er kam schleichend. Vielleicht hatte ich ihn deshalb erst gar nicht bemerkt. Doch eines Morgens zeigte er sich. Und er blieb. Und wollte nicht mehr weg. Der Alltag. Ich hatte es schon kaum mehr für möglich gehalten. Alltag in Kalifornien. So was gab es bisher nicht.

Mein Wecker klingelte Punkt 6 Uhr. So wie auch schon vorvorgestern. Und vorvorvorgestern. So wie eigentlich jeden Tag. Ausser an den Wochenenden natürlich. Da weckten mich jeweils die Kinder. Es war Montagmorgen. Ich stand auf, holte mein Telefon, ging auf Toilette und checkte erstmals meine E-Mails. Total 9 Werbemails mit Coupons und Savings mit denen ich hunderte von Dollars hätte sparen können. Aber leider hatte ich alles bereits verpasst. Schade. Und gerade mal nur 13 Mails aus der Schule. Seit Freitag. Merkwürdig. Na gut. Da waren also zwei Interneteinladungen zu Kindergeburtstagen, ein Elternbrief der Preschool, ein Elternbrief der Elementaryschool, ein Newsletter der Gesamtschule sowie ein Informationschreiben der Schulleitung. Zudem zwei Lauswarnungen, eine Windpockenwarnung, ein ‚Little Ouch‘ Report, zwei Links auf Fotosammlungen irgendwo in den Wolken, sowie eine detaillierte Anleitung zur Planung der Hausaufgaben der nächsten Woche. Ich überflog nur kurz die Inhalte, notierte mir 4 neue Termine in Outlook und machte mich fertig. Es hatte sich damals kurz nach Schulbeginn bereits abgezeichnet, dass wir um die Einführung der neuen Funktion FIO, des ‚Family Information Officer‘ in unserer Familie nicht mehr drum herum kamen. Zu umfangreich waren schon nur all die E-Mails und Termine. Als solcher stand ich nun aber bereits wieder vor der Frage eines weiteren Ausbaus unserer CFS, unserer ‚Central Family Services‘. Ich erwog die Einführung von Microsoft Project mit adaptiertem Supply Chain Plugin um all die School Projects, Lunchboxes, Potlucks, Campouts, School Events, After School Activities, Playdates, Kindergeburtstage und sonstigen Events mit all den Beteiligten und Ressourcen zu koordinieren. Outlook war dazu einfach an die Grenzen seiner Möglichkeiten gelangt. Als ich noch gearbeitet hatte, war das bedeutend einfacher. Ich fragte mich, welche Software Familien mit 3 oder gar 4 Kindern benutzen würden. Während ich in Gedanken schon über ein Startup zur Entwicklung einer ‚School Family Ressource Planning Software Suite‘ grübelte – als Service in der Cloud versteht sich – , bereitete ich die Lunchbox für die Kinder vor. Reis mit Hühnchen. Schon wieder. Hauptsache die Kinder würden es mögen. 7 Uhr: Kinder geweckt, gefrühstückt und angezogen. 7 Uhr 45 Boarding und anschliessender Take-off Richtung Schule. 7 Uhr 58: Auffahrt auf den Highway 101. Mist, bereits 2 Minuten hinter dem Zeitplan und dann auch ausgerechnet noch heavy Traffic. Wenn das nur gut gehen würde. Also sogleich bis ganz nach links alle 4 Spuren gequert zur Car-Pool-Lane, einer Schnellspur, welche ausschliesslich für diejenigen reserviert war, welche mindestens zu zweit im Auto sassen. Entsprechend kamen wir nun gut vorwärts. Ich gab ziemlich Gas, hörte das teure Valero Superbenzin gleich gallonenweise durch die Vergaser rauschen und schaffte es bis zur Ausfahrt University Avenue, eine der verlorenen Minuten wieder aufzuholen. Nun noch kurz East Palo Alto am Rande gestreift und dann auf O’Connor eingedreht. Schon von Weitem war der von Westen kommende Konvoi silbergrauer 7-sitziger Minivans zu sehen. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht drehte einer nach dem anderen in die Elliott Drive ab und mergete mit dem von Osten heranrollenden Konvoi grosser dunkler 7-sitziger Offroader. Drinnen jeweils die Schüler. Ich reihte mich unauffällig dazwischen. So gut’s halt ging mit meinem alten Buick. Es war nun bereits 8 Uhr 9. Die Rush Hour auf dem Schulgelände hatte bereits begonnen. Der tägliche Kampf um die letzten noch verbliebenen freien Parkplätze vor der Schule trat jetzt in die entscheidende Phase. Es galt, jetzt bloss nicht wählerisch oder zimperlich vorzugehen. First come first serve. Den erstbesten Slot sofort genommen, es hätte der Letzte gewesen sein können. Was dann unvermeidbar mit einem weiteren Tardy Slip verbunden gewesen wäre. Aber zum Glück war noch einmal alles gut gegangen. Die Kinder waren rechtzeitig in der Schule abgeliefert. Die Anspannung löste sich. Mein Puls ging auf Normalfrequenz zurück. Ich schaute auf die Uhr. Noch 6 Stunden, bis ich die Kinder wieder abholen würde und sich das ganze Spektakel umgekehrt wiederholen würde. Ich schaute in mein Outlook. Eine After School Activity und ein Playdate standen heute noch an. Das war’s.

Und morgen war erst Dienstag.

 

5 Gedanken zu „Abenteuer Alltag

  1. Hallo Patrick, wir haben lange nicht mehr in euren Blog geschaut in der Annahme, dass der Alltag und die vielen sonstigen Aktivitäten keine Zeit mehr für schriftstellerische Tätigkeiten erübrigen würden. Umso überraschter waren wir gestern über gleich zwei neue Geschichten. Gratulation! Um die vielen spannenden Abenteuer im Alltag wird dich Luise sicher ein wenig beneiden!?

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